Ein anderes Tal Georgiens, von dem uns viele berichten (und – surprise, surprise, welches zT die Schweiz Georgiens genannt wird) ist Svaneti. Auch dort wäre es traumhaft zu Gleitschirmfliegen, wenn der Unfall nicht gewesen wäre (mehr dazu im Blog Post zu Gudauri). Es herrscht noch immer Gleitschirmverbot im ganzen Land. Wir machen uns dennoch auf den Weg. Es ist unendlich heiß im Flachland und wir fliehen sozusagen in die Berge.
Svaneti
Reise mit Zwischenfellen 🐱
Auf einem unserer übernachtungs-Stopps rennt uns ein kleines Kätzchen zu. Wir passen eine Nacht lang darauf auf… nur zu gerne hätten wir ein Reisekätzchen. Wir wissen aber nicht, ob wir diese Entscheidung wirklich fällen können. Nicht jetzt. Schweren Herzens bringen wir es zurück an die Fundstelle. Dort wird es dann glücklicherweise von einer georgischen Frau adoptiert. Unserem Gewissen tut das zwar gut, aber das heißt auch, dass uns immer noch eine Katze in unserem Leben fehlt…
In Kutaissi, Georgiens drittgrösster Stadt, gibt es auch einen Zwischenstopp mit Besuch des Vergnügungsparks. Mit dem Prater lässt sich der zwar nicht vergleichen, aber das „Riesenrad“ löst trotzdem viele Emotionen aus. In erster Linie Angst vor dem sofortigen Zerfall. Noch nie zuvor habe ich so viel Rost an etwas gesehen, das mich sicher in die Höhe befördern sollte. Ist aber noch einmal gut gegangen. Die Fahrt zurück in die Stadt mit der Gondel aus dem Jahr 1961 ist mindestens genauso aufregend. Dann gibts endlich wieder so richtig georgisches, veganes Essen: Auberginen, gefüllt mit Walnüssen, Spinat-Pkhali und Lobiani (Brot mit Bohnenmusfüllung). Super vollgefressen und zufrieden gehen wir weiter und schlafen an einem Staudamm. Das ist an sich ganz nett, aber irgendwann um 04 Uhr in der Früh kommt ein leicht angetrunkener Security Mensch und weckt uns auf. Wir verstehen nicht ganz, wieso er uns so energisch aufweckte. Vermutlich wollte er nur sicher gehen, dass wir hier keine Drogen nehmen? Jedenfalls verabschiedet er sich wieder und lässt uns weiterschlafen.
Ab in die Berge
Am nächsten Tag kommen wir in Mestia an. Wir haben ein Airbnb gebucht, damit Bianca hier weiter an ihrer Masterarbeit schreiben kann. Luca nimmt das Büssli in der Zeit und verabredet sich in ein paar Tagen noch mit Kurt, um gemeinsam wandern zu gehen. Der erhoffte Komfort des Airbnb will aber nicht so wirklich. Bereits beim Check-in gibt es Probleme: Unsere Buchung erscheint nicht in ihren Reservationen. Die Kommunikation auf Englisch hapert ziemlich, und erst mit der Hilfe der Nachbarin, können wir uns verständigen. Es gab viele Missverständnisse und die nächsten Tage sind super stressig, weil ich nie wusste, wann ich jetzt wieder das Zimmer wechseln muss. Alles was ich mir wünschte, war ein ruhiger Ort mit Küche und stabilem Internet zum arbeiten. Der Strom fällt aber regelmäßig aus, genauso das Internet und ich muss insgesamt 3x umziehen. Frust beschreibt meine Stimmung in der Zeit nicht einmal annähernd genug.
Luca geniesst ein paar ruhige Tage auf der Hochebene Hatsvali, wo sich im Winter wohl ein emsiges Ski-Schauspiel zeigt, jetzt ist aber so gar nichts los. Als Kurt dann in der Gegend auftaucht, nehmen sie die Strecke nach Ushguli auf sich. Anscheinend die höchstgelegene Siedlung Europas, die das ganze Jahr über bewohnt wird (2’200 m ü.M.). Die Zufahrtstrasse ist mehrheitlich in einem recht guten Zustand. Erst die letzten fünf Kilometer sind voll mit sehr tiefen und grossen Schlaglöchern. Wir schaffen es knapp bis ins Dorf, nur um dann wieder umzudrehen, da wir die dahinterliegende Naturstellplätze ohne 4×4 nicht erreichen. Ein paar Kilometer vor Ushguli finden wir einen Platz für die Nacht. Auch hier baut Kurt sein Reisekino auf. Am nächsten Morgen geht es „früh“ los: nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir unsere zweitägige Wanderung.
Entlang dem Fluss Enguri kommen wir unten an den Shkhara Gletscher. Dann geht es steil hinauf zu einem kleinen Bergsee wo wir unser Zelt aufschlagen. Nach einer sternenklaren Nacht kommt der zweite, anstrengendere Tag. Ab jetzt ist der Weg nicht mehr sichtbar und auch der Handyempfang ist weg. Zum Glück ist ein Weg eingezeichnet auf der Offlinekarte (maps.me). Wir balancieren über die Chubedishi-Krete, die an manchen Stellen ziemlich schmal ist und steil abfällt. Kurt ist ein super Wanderkumpane und sehr geduldiger Fotograf. Er wartet oft lange auf den perfekten Moment, wenn beispielsweise für einen kurzen Moment die Bergspitze des Shkhara (5,193 m) aus den Wolken kommt. Der Weg – und die Fotopausen – ziehen sich länger als gedacht. So kommen wir es erst nach dem Sonnenuntergang zurück in Ushguli an. Der Bäcker hat noch nicht Feierabend und es gibt sogar zu der Stunde noch frisches Brot. Bianca’s Arbeitswoche geht zu Ende, also zurück nach Mestia.
Svaneti zu zweit
Wieder vereint begeben wir uns an einen ruhigen Ort außerhalb. Da gehen wir ein bisschen wandern und treffen dann wieder Kurt und Mirija. Kurt ist ein grosser Film-Fan, so lässt er auch diese Gelegenheit nicht aus, um sein Reisekino mit uns zu teilen. Die zwei gehen dann ein paar Tage wandern, und wir fahren zurück nach Mestia, um den Film „Dede“ zu sehen. Dieser wurde 2017 im Ort Ushguli gedreht und erzählt von der patriarchalen Kultur der Gegend, den Schwernissen des Lebens am Berg und von der Rolle der Frau. Ein absolut empfehlenswerter Film über eine Kultur die uns zuvor unbekannt war.
Daraufhin verbringen wir ein paar Tage um Mazeri, dem Tal nordwestlich von Mestia. Da wandern wir zu den Wasserfällen und verweilen an wunderschönen Naturplätzen. Wir warten auch auf Kurt und Mirja, die wollen uns nach ihrer Wanderung nochmal besuchen (Kurt hatte uns nämlich seinen Schlafsack versprochen, was wir gern angenommen haben). Abgesehen von ein paar Kühen treffen wir nicht viele andere Lebewesen in dieser Zeit. Es ist entspannt, wir können die Natur genießen und etwas an verschiedenen Projekten arbeiten.
Ganz, ganz langsam wollen wir aber wieder fliegen. Und da es nicht so aussieht, als würde sich die Situation in Georgien bald verändern, entschliessen wir uns dazu, den Weg Richtung Armenien einzuschlagen. Außerdem haben wir in den Tagen auch unser Iran-Visa beantragt. Jetzt kommt die Bestätigung, dass wir das Visa innert den nächsten zwei Monaten in Jerewan abholen können.
Noch einmal quer durch Georgien
Wir sind nach sechs Wochen in Georgien mehr oder weniger im Nordwestlichen Zipfel und wollen das Land im Südosten verlassen – Routenplanung: Fehlanzeige. Dafür Wetterplanung auf höchstem Level. Denn erst jetzt, nach zwei Monaten Dauerhitze im Flachland, werden in Tbilisi erstmals wieder Tagestemperaturen unter 35 Grad prognostiziert. So planen wir unsere Stadtbesichtigung in diesem Zeitfenster ein und können also auf dem Weg dahin noch ein paar „Attraktionen“ abklappern.
Die erste Nacht verbringen wir mit Aussicht auf die Kazchi-Säule. Der Fels sieht ziemlich deplaziert aus, noch viel mehr aber das kleine Kloster darauf. Anscheinend wohnt dort seit den 90er Jahren ein Einsiedler-Mönch. Dann statten wir der vom Bergbau geprägten Stadt Tschiatura einen Besuch ab. Bis vor 3 Jahren fuhren hier auch nur die Seilbahnen aus eben diesem Jahrzehnt. Heute hängen sie lediglich in der Luft, oder den ehemaligen Stationen und prägen das Bild der Stadt wie damals, in der ehemaligen Sowjetunion. Auch die riesigen Sowjetbauten, die überall in die Lüfte ragen tragen ihren Teil dazu bei. Für unser mitteleuropäisches Verständnis wirken sie verlassen, zerfallen, kurz vor dem Zusammenbruch. Wahrscheinlich wurden sie seit dem Fall des eisernen Vorhangs nicht mehr renoviert. Aber mit der Seilbahn kommen wir an manchen Hochhäusern recht nah vorbei, und was soll man sagen: Die Wäsche hängt zu den Fenstern heraus, diese sind sporadisch repariert, der Verputz bröckelt, aber dennoch wird hier gewohnt und gelebt wie eh und je. Um nicht ganz so trostlos zu wirken wurde manche Bauten bunt angemalt. Von weit entfernt wirken sie bestenfalls fröhlich, wenn auch deplatziert. Bei näherem Betrachten wird aber auch hier der Verfall sichtbar….
Nach einer Nacht an einem kleinen See (es ist immer noch so unendlich heiss überall), fahren wir nach Gori und besuchen das Stalin-Museum. Sein Geburtshaus steht vor dem Museum, genauso wie sein alter Privatzug. Nach dem Besuch können wir uns eingestehen, dass wir genau gar nichts erfahren haben über den Stalinismus, lediglich über Josef selbst… neben seiner Totenmaske handelt es sich hier einfach um eine Ansammlung von Bildern und Fragmenten aus seinem Leben. Welche Bücher hat er als Kind gelesen, welche Schulen besucht, welche Artikel geschrieben. Von Kritik keine Spur, von seinen Beziehungen zu seinen Genossen ebensowenig. Eher ernüchternd als aufgeklärt ziehen wir weiter an einen Fluss und laden uns Podcasts zum Stalinismus herunter, um wenigstens eine etwas differenzierte Meinung zu dem Thema auch zu erfahren.
Endlich Tbilisi und nochmal Gipsy Village
Die nächsten Tage verbringen wir in Tbilisi. Wir können auf einem Hügel mitten in der Stadt parken – gemeinsam mit ca. 10 anderen Overlandern – von der Schweiz, Deutschland, Grossbritannien… Von hier aus sind es 15 Minuten zum Stadtzentrum, also erkunden wir dieses. Die Pro-Ukraine und Anti-Putin Propaganda ist unübersehbar. Überall hängen gelb-blaue Flaggen, oder ziert Putins Gesicht mit Fadenkreuz die Wände… Neben kleinen Einkaufsstrassen voll mit Vintagekleidung finden sich auch immer wieder sehr europäisch wirkende, hippe Cafés und Bars. Ein riesiges Casino steht am Ende der „Friedensbrücke“ und zwischen Altbau und historischen Gebilden stehen Ansammlungen von neuen, architektonisch interessanten Häuser, Türmen und sogar ein Heissluftballoon. Georgien wächst – wirtschaftlich. Es wirkt auf uns so, als möchte das Land seine Vergangenheit hinter sich begraben und im neoliberalen Wettkampf mitmischen. Davon halten wir persönlich relativ wenig. Nicht, weil wir Kultur romantisch finden, oder die alten Sowjetgebäude restauriert sehen wollen und alles billig für uns privilegierte Reisende bleiben soll. Sondern weil wir mit dem neoliberalen System per se ein Problem haben… Doch dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.
Bevor wir uns über die nächste Grenze nach Armenien wagen, besuchen wir noch ein letztes Mal das Gipsy Village. So wird unser erster Stopp in Georgien gleichzeitig auch zu unserem letzten. Wie ein Boomerang kehren wir an diesen Ort zurück. Es hat sich in den letzten sechs Wochen nicht so viel geändert, allerdings sind (natürlich) fast alle Volunteers neu. Die meisten, die gerade da sind, wollen ebenfalls in den Iran, wenn auch zu Fuss, oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur Frank ist noch da, aber auch er macht sich gerade bereit für seine Weiterreise. Wir wandern durch die Wälder und sammeln Brombeeren. Die Felder der Farm sind nun voll mit Tomaten in allen Farben, Melonen, Basilikum, Rot- und Blaukraut, Lauch, immer noch wahnsinnig vielen Zucchinis und Kürbissen. Selbst Pflaumen und Äpfel können wir frei ernten. Damit machen wir Zwetschgenröster und Apfelmus und feiern unseren erneuten Abschied mit einer riesigen Portion Kaiserschmarren für 25 Leute. Emi aus Dänemark, Clem und Adrien aus Frankreich, Ali aus dem Iran, Amira und Fred aus Deutschland, Alan aus Kazachstan sind Reisende, die wir vielleicht irgendwo wieder treffen werden. Bei Nikita und Anna wissen wir, dass sie noch länger im Gipsy Village bleiben und vielleicht kreuzen sich auch mit ihnen unsere Wege wieder.